Erkenntnisse aus dem Vortrag von Elizabeth Gilbert auf dem „Being One“-Forum in Valencia, am 12. Oktober 2018
Elizabeth Gilbert erscheint als letzte Rednerin des Tages auf der Bühne. Jung sieht sie aus, ist lässig gekleidet. Schwarze Hose, schwarzes Shirt, schwarze Turnschuhe. Das hellblonde Haar ist kurz, aber den Pony kann sie noch hinter die Ohren streifen. Was sie während ihres Vortrags mehrfach tut.
Ich bin auf dem „Being One“-Forum, im Oktober 2018 in Valencia. Es ist schon nach 18 Uhr, der Saal ist unruhig. Gerade hat der argentinische Psychologe und Buchautor Jorge Bucay zehn seiner weisen Geschichten erzählt. Er ist sehr beliebt, und viele sind draußen, um sich von ihm ein Buch signieren zu lassen. Und da Elizabeth Gilbert auf Englisch spricht, stellen die meist spanischen Zuhörer um mich herum auf ihrer Handy-App die Verdolmetschung ins Spanische an, und zwar laut und ohne Kopfhörer, und ich höre alles doppelt in zwei Sprachen.
Ich versuche mich zu konzentrieren. Es muss nicht perfekt sein, sage ich mir. Und höre gebannt zu.
Diesmal spricht sie gar nicht in erster Linie von Kreativität. Sondern von einer Eigenschaft, die sie allen Frauen so wünscht, aber bei den meisten schmerzlich vermisst. Eine Art Revolution, etwas dringend Notweniges. Doch was kann das sein? Frauen werden im oft als stark, mächtig, leidenschaftlich, verletzlich und so weiter beschrieben. Aber das sind wir alles schon, das ist nichts wirklich Revolutionäres.
Loslassen und entspannen
Aber einfach mal entspannt sein, loslassen, „to be relaxed, wouldn’t that be fucking great?” sagt sie. Das hört sich erst mal gar nicht revolutionär an. Aber sie meint auch nicht, was man gemeinhin unter Entspannung versteht, es geht ihr nicht um Wellness oder Massagen, um von einem angespannten Zustand wieder herunterzukommen.
Das „Relaxed“, das Liz Gilbert meint, kommt von innen, ist eine innere Einstellung. Entspannt seinem eigenen Weg folgen und Vertrauen haben, darum geht es.
Frau sein, bedeutet in erster Linie, für alles Mögliche Verantwortung tragen zu wollen, sich um alles und jedes Sorgen zu machen, nie loslassen zu können, unendliche Listen abarbeiten zu müssen.
Wollen wir das wirklich, diese ewige innere Unruhe? Ist es unverantwortlich, sich keine Sorgen zu machen, nicht ständig im Alarmzustand zu sein? Oder könnten wir uns nicht zum Beispiel etwas von der Kampfkunst abschauen, wo der Entspanntere stets der Stärkere ist? Was, wenn wir einfach entspannen, so lange, bis es wieder etwas zu tun gibt für uns? Aus der Entspanntheit entsteht mehr Kraft als aus dem permanenten Angespanntsein. Im richtigen Moment werden wir das Richtige tun!
Und wie genau kommen wir dahin?
Finde heraus, was dir wirklich wichtig ist, und setze Prioritäten
Zuerst gelte es herauszufinden, was einem wirklich wichtig sei. Als junge, noch unbekannte Schriftstellerin hatte Elizabeth Gilbert eine ältere Bekannte heimlich als Mentorin auserkoren, die „mein Leben lebte“. Denn diese war Schriftstellerin, lebte ausschließlich von ihrer Kreativität. Das wollte bei Elizabeth Gilbert damals noch nicht gelingen – sie war zwar extra nach New York gezogen, um Autorin zu werden. Aber weil das Leben dort so teuer war, hatte sie drei Jobs und eigentlich gar keine Zeit zum Schreiben. Als sie ihre Mentorin um Rat fragte, war diese ziemlich resolut. „Was bist du bereit aufzugeben für das Leben, das du vorgibst, leben zu wollen?“. Damit hatte sie Elizabeth Gilbert am Haken. Es nur vorgeben wollen, das wollte sie nicht. „Du fährst nicht mit deinen Freunden eine Woche ans Meer, sondern schreibst an deinem Buch.“
„Denn es geht nicht darum, zu Dingen Nein zu sagen, die man nicht will. Das ist einfach. Sondern zu denen, die man eigentlich auch will. Es geht darum, Prioritäten zu setzen, denn unsere Zeit ist nicht unendlich. Denn nur, wenn wir das verfolgen, was uns wirklich wichtig ist, kommen wir weiter. Und dafür müssen wir Platz in unserem Leben schaffen.“ Daher ist ihr Appell: „Prüfe, wo deine Energie hingeht. Du kannst nicht alles machen, dich nicht um alles kümmern. Nur um ein paar Dinge – der Rest ist egal.“
Setze klare Grenzen und ziehe einen heiligen Kreis
„Sobald klar ist, was dir wirklich wichtig ist, hast du auch die Kraft, klare Grenzen zu setzen“, sagt Elizabeth Gilbert. „Stell es dir vor wie einen heiligen Kreis, den du um dich ziehst. Alles, was innen ist, ist heilig. Zum Beispiel bestimmte Zeiten.“ Bei ihr sei es die Stunde zwischen sechs und sieben am Morgen. Es gehe darum, die ein, zwei Stunden am Tag, an denen man einen klaren Kopf habe und sich mit seiner Kreativität verbinden könne, bestmöglich für das zu nutzen, was einem wichtig sei. Und diese Zeit auch entsprechend zu verteidigen.
Genauso wichtig wie die Grenzen zu setzen ist auch, sie zu halten. Und das geht am besten mit einem starken inneren Ja zu den eigenen Prioritäten. Dabei kann uns das Bild von Durga, der Göttin der weiblichen Grenzen, helfen. Sie genießt ihr gutes Leben und bestraft jeden, der uneingeladen in ihren heiligen Kreis eindringt. Dabei geht es nicht um harte Grenzen, sondern einfach um ein klares, entspanntes Nein. Das erleichtert es auch anderen, mit uns umzugehen, denn Grenzen zeigen, wer wir sind und wofür wir stehen.
Für uns Frauen bedeutet, in ihre göttliche weibliche Kraft zu kommen, sich ihrer selbst bewusst zu werden. In unserer eigenen Kraft aufzugehen und zu wissen, was uns heilig ist. Und die Grenzen dieses heiligen Kreises auch zu schützen.
Der inneren Stimme vertrauen und dem Ruf folgen
Elizabeth Gilbert erzählt von Martha Beck, einer Freundin und ebenfalls erfolgreiche Schriftstellerin („Finding your own North Star“). Martha Beck hat erfolgreiche Frauen interviewt und dabei eine Gemeinsamkeit entdeckt: An irgendeiner Stelle ist etwas Mystisches in ihrem Leben geschehen, haben sie ein Zeichen bekommen, eine innere Stimme gehört und ihrem Ruf vertraut. Diese innere Quelle wusste genau, was als Nächstes dran ist. Hören tun sicher viele diese innere Stimme. Aber ihr ins Ungewisse zu folgen, das erfordert großen Mut. Den Mut, alle Zweifel loszulassen und sich auf den Weg zu machen. Diese Frauen sind dem Ruf gefolgt.
Mystik ist die Verbindung zur Unendlichkeit. Das Gefühl von „It’s all gonna be all right“. Wenn wir etwas tun sollen, dann merken wir das, werden wir gerufen. Aber zwischendurch dürfen wir uns erlauben, loszulassen, im Moment zu sein und uns keine Sorgen zu machen- in den Moment entspannen und vertrauen. Der Stimme, die gerade sagt: „Im Moment gibt es für dich nichts zu tun.“
Wenn wir dieser Stimme, dem Kompass unseres Bauchgefühls, folgen, können wir darauf vertrauen, dass es Kräfte gibt, die uns unterstützen werden. Und dass wundervolle, außergewöhnliche Dinge passieren werden.