Es ist an einem Freitag im Frühjahr 2022. Ich kann es kaum glauben – heute Abend werde ich zum ersten Mal seit über zwei Jahren wieder auf eine richtige Salsa-Party gehen. Abends, indoor, ohne Maske, mit vielen Leuten, die ich zum Teil eine gefühlte Ewigkeit nicht gesehen habe – wie das wohl wird? Ich weiß gar nicht mehr, was ich anziehen soll, geschweige denn, ob ich in meinen Stiefeln mit den ziemlich hohen Absätzen überhaupt noch laufen, geschweige denn tanzen kann – nach der langen Zeit, die ich fast durchgehend auf Turnschuhen verbracht habe. Meine Kondition ist nicht mehr die beste, und ich traue mir mehr als zwei Tänze am Stück eigentlich gar nicht mehr zu.
Aber es kommt viel besser als gedacht. Ich tanze die ganze Nacht euphorisch durch, meine Füße halten auf den Absätzen immerhin bis Mitternacht durch, bevor ich auf bequemere Schuhe umsteige. Und was die Maske angeht, fühlt es sich an, als hätte ich nie eine aufgehabt. Alle sind wir aufgeregt, begrüßen uns freudig, umarmen und knuddeln uns und sind einfach glücklich, nach so langer Zeit wieder alle zusammen dort sein und tanzen zu dürfen. Was früher so normal war, ist jetzt ein Event, auf das ich mich über einen Monat lang wie eine Wahnsinnige gefreut habe.
Tanzen gehört zum Mensch sein dazu!
Warum mir das Tanzen so sehr gefehlt hat? Wenn ich tanze, vor allem beim Salsa, bin ich pure Freude und Lebendigkeit. Ich fühle mich mit der ganzen Welt verbunden, schwebe irgendwo zwischen Zeit und Raum. Solange mir die Musik gefällt, kann ich endlos tanzen.
Tanzen ist neben Fremdsprachen und Reisen meine größte Leidenschaft, mein Ventil, mein liebstes Hobby, und ja, ich würde schon sagen, ein Teil meines Selbstausdrucks. Kein Wunder also, dass es mir in den letzten zwei Jahren nicht so gut ging (mal abgesehen von all dem anderen in der Zeit, ich will es hier gar nicht mehr erwähnen, ihr wisst schon).
„Die größten Tiefs in meinem Leben kamen immer dann, wenn ich mit dem Tanzen aufgehört habe“, sagt auch Dr Peter Lovatt in seinem Buch „Tanz einfach!“. Ich bin damit also nicht allein – und kann es so sehr nachvollziehen. Überhaupt spricht er mir in seinem Buch oft aus dem Herzen. Peter Lovatt habe ich in einem anderen Artikel über das Tanzen schon einmal erwähnt, aber nun hat er ein ganzes Buch geschrieben, natürlich über das Tanzen.
Lovatt geht es in seiner Arbeit um die Verbindung von Tanz und Psychologie. Er ist Tanzpsychologe und Tanzlehrer, war Profitänzer und hat Psychologie und Neurowissenschaften studiert. So konnte er sich dem Thema Tanz von vielen Seiten, mit Kopf, Körper und Seele nähern. Sein Buch ist ein Plädoyer für das Tanzen und deshalb so glaubwürdig, weil Lovatt seine eigene Tanzleidenschaft mit wissenschaftlichem Background untermalt.
Zudem ist es eine Anleitung, wie man Rhythmus, Musik und Tanz körperlich und seelisch nutzen kann. Der Titel der englischen Ausgabe heißt daher auch „The Dance Cure“. Für mich ist das Buch vor allem eine schriftliche Bestätigung dessen, was ich seit vielen Jahren erfahre und lebe, nämlich dass Tanzen ein menschliches Grundbedürfnis und einfach gut für die Seele ist! Und so finde ich mich in vielen Passagen wieder.
Tanzen ist Verbundenheit mit dem großen Ganzen
Abgesehen von den vielen positiven Auswirkungen auf den Körper hat Tanzen für mich auch eine spirituelle Dimension. Einfach weil ich dabei so sehr im Hier und Jetzt bin, und weil ich beim Tanzen mit dem in Verbindung gelange, was ich die Weltenseele nenne: dem großen Ganzen.
Lovatt beschreibt das ähnlich als ein Gefühl der Vollständigkeit, und dass er sich in dem Moment so frei fühlt. Er meint, Tanzen sei eine Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft – und genauso ist es, finde ich. Zeit spielt für mich keine Rolle mehr, wenn ich so richtig im Tanz aufgehe.
Deshalb hat Tanzen eine transformative Kraft. „Wenn Menschen tanzen, strahlen sie eine besondere Schönheit aus“, so Lovatt. „Eine Art von Schönheit, die sichtbar wird, wenn sie glücklich und unbeschwert sind.“ Durch das Tanzen können wir also uns nicht nur mit etwas verbinden, das größer ist als wir. Sondern wir strahlen das auch nach außen aus. Wenn ich tanze, merke ich an mir selbst, wie sich meine Ausstrahlung verändert.
Tanzen ist eine universelle Sprache
Und so kommunizieren wir allein durch unsere Bewegungen und das, was wir damit aussenden, mit anderen Menschen, wenn wir tanzen – denn meist sind wir ja beim Tanzen nicht allein. Das Ganze funktioniert universell, weil wir dabei keine gesprochene Sprache benötigen, sondern durch den Tanz an sich „sprechen“, und durch das, was wir beim Tanzen ausdrücken.
Tanzen verbreitet Freude
Während der letzten beiden Jahre habe ich öfter mal Leute in der Stadt oder im Park gesehen, die einfach vor sich hingetanzt haben, mit Musik im Ohr. Die Passanten haben sich gefreut und hatten oft ein Lächeln auf den Lippen. Plötzlich war es nicht mehr komisch, einfach so im öffentlichen Raum allein vor sich hin zu tanzen. Weil es ja anders nicht ging. Und ich finde, das sollten wir uns bewahren, wenigstens ein bisschen!
Lovatt macht ganz witzige Vorschläge, wie wir Tanzen auch in den beruflichen Alltag integrieren können. Er tanzt zum Beispiel immer bei Vorträgen, was ich selbst auch schon bei Seminaren erlebt habe. Das ist noch nicht besonders spektakulär, wenn es sowieso ums Tanzen geht, aber wie sähe es mit Tanzen bei einem wissenschaftlichen Vortrag aus? Oder wie wäre es mit einem federnden Boden im Büro? Allein die Vorstellung, hüpfend zum Kopierer zu laufen, finde ich super.
Musik und Tanz kommen in öffentlichen Leben bei uns viel zu kurz, meine ich, und sind doch so wichtig – wer schon mal in einem lateinamerikanischen Bus mit lauter Salsamusik gesessen hat, kann das vielleicht bestätigen. Ich glaube, es macht den Alltag und das Zusammenleben freudvoller und lebendiger.
Tanze Salsa, und du fühlst dich lebendig!
Als schnell wirkendes Heilmittel verschreibt Lovatt in seiner Tanzapotheke verschiedene Tanzstile für ganz bestimmte Stimmungen und Gefühle. Salsa ist in seiner Aufzählung nicht dabei, könnte aber eine Mischung sein aus seinen Tipps für erstens Partystimmung (Zumba), zweitens totale Lebendigkeit (Disco) und drittens ein Gefühl von Sexiness (Rumba). Das ist doch eine tolle Kombination!
… und dass ich es dann doch an meinem ersten richtigen Salsa-Tanzabend so lange auf hohen Absätzen geschafft habe, ist übrigens auch mit den Wirkungen des Tanzens zu erklären – man spürt durch die Euphorie einfach weniger Schmerzen.
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Zu meinem ersten Artikel: Warum Tanzen so gut für die Seele ist
Zum Weiterlesen: „Tanz einfach!“ (Dr. Peter Lovatt, VAK Verlag)