Elizabeth Gilbert ist eine Autorin, die mich zutiefst beeindruckt. Sie ist nicht nur Bestsellerautorin (ihr größter Erfolg war der mit Julia Roberts verfilmte Roman Eat Pray Love), sondern auch eine überaus inspirierende und spirituelle Frau.
Mittlerweile hält sie überall auf der Welt Vorträge, und im Oktober 2018 durfte ich sie live auf dem „Being One“-Kongress in Valencia erleben. (Mehr zu ihrem Vortrag kann du hier lesen.) Im Vorfeld des Kongresses habe ich mich verstärkt mit ihrem Werk beschäftigt – ihr 2015 erschienenes Buch „Big Magic“ hat mich dabei besonders inspiriert.
Darin setzt sie dem sie sich mit dem Thema Kreativität auseinander. Viele Gedanken darin sprechen mich an, denn es geht um Kreativität im weiteren Sinne – darum, ein erweitertes, lebendiges Leben zu führen.
Deshalb habe ich mich gefragt: Was kann Elizabeth Gilbert uns mitgeben auf unserem kreativen Weg, insbesondere in ihrer Eigenschaft als Schriftstellerin?
Schreibe in erster Linie für dich selbst – und um des Schreibens willen
„Ich schreibe in erster Linie für mich“, so Gilbert. „Würde ich gleich für andere schreiben wollen, käme vermutlich ein ganz anderes Buch heraus. Allerdings wahrscheinlich ein wesentlich langweiligeres.“ Und: „Schreiben ist einfach das, was ich am besten kann, und ich habe nie etwas anderes gemacht“. Sie sei dankbar dafür, sich auf dieses eine Talent konzentrieren zu dürfen.
Und worum geht es ihr, wenn sie für sich selbst schreibt? Zum einen verarbeitet sie schreibend ihr Leben und ihre Gefühle: „Eat Pray Love habe ich geschrieben, um mich selbst zu retten. Ich wollte mir über meine Reise und meine emotionalen Verwirrung klarer werden.“
Bei Big Magic trieb sie ihre eigene Neugier an, sich schreibend mit dem Prozess der Kreativität und einem kreativen Leben auseinanderzusetzen: „Big Magic habe ich aus Freude geschrieben, weil ich es genieße, über Kreativität nachzudenken. Es ist nützlich für mich, darüber nachzudenken.“
Um beim Schreiben möglichst frei zu sein, hat Elizabeth Gilbert gegenüber dem Universum ein Gelübde abgelegt. Schon früh hat sie sich verpflichtet, bis ans Ende ihres Lebens zu schreiben. Und zwar unabhängig vom Ergebnis. Damit entbindet sie das Schreiben jedweder Verpflichtung: Sie werde stets für sich und das Schreiben sorgen, und nicht umgekehrt das Schreiben für ihre finanzielle Situation.
Liebe dein kreatives Selbst
In Big Magic will Gilbert mehr Mut zu einem kreativen Leben vermitteln. Und meint damit nicht ein Leben als Maler oder Schriftsteller. „Kreativität ist alles, was man liebt, was einen lebendig macht und worin sich das Selbst ausdrückt.“ Das Buch ist als eine Aufforderung zu einem selbstbewussteren, individuelleren und damit erfüllteren Leben zu verstehen. Big Magic hat sie mit 45 begonnen zu schreiben. „Vielleicht genau das Alter, in dem eine Frau endlich ihren gelebten Erfahrungen und ihrer Intuition vertraut“, so Gilbert.
Wem das Wort Kreativität zu abgehoben scheint, kann es auch durch Neugier ersetzen. „Was macht dich neugierig? Gibt es irgendetwas, das dich fasziniert? Etwas, das unpraktisch ist, mit dem du wahrscheinlich kein Geld verdienen und auch nicht berühmt werden wirst. Das ist es, was du tun solltest.“ Ein kreatives Leben ist ein erweitertes Leben, ein größeres, weiteres, um ein Vielfaches interessanteres Leben. „Das Leben ist interessant. Zieh eine Karte, egal welche“, schreibt Elizabeth Gilbert in Big Magic.
Es helfe auch, sich vorzustellen, man werde vom kreativen Leben zurückliebt. Die Ideen, die zu uns kommen, haben selbst ein Interesse daran, von uns verwirklicht zu werden. Weil sie in uns und unseren Fähigkeiten ein Potenzial sehen. Sonst würden sie nicht immer wieder so beharrlich an unsere Tür klopfen. Unser kreatives Leben brauchen wir vor niemandem – auch nicht uns selbst – zu rechtfertigen. „Deine eigenen Gründe, etwas zu erschaffen, sind ausreichend.“ Davon ist die Autorin überzeugt. Sich in die eigene Kreativität, das eigene kreative Selbst verlieben, als ob man mit ihr eine Affäre hätte. So tun, als sei man unterwegs. Und wie bei einer Affäre schreibt man heimlich, oder arbeitet heimlich an seinen Projekten.
Lass Neugier und die Kreativität wichtiger sein als Angst
Ein kreatives Leben zu leben bedeute, ein Leben zu leben, das stärker von Neugier als von Angst bestimmt ist. Ein Leben, in dem man den Mut habe, in sich verborgene Schätze weiterzuentwickeln. Kreativität verlangt von den Menschen, ins Ungewisse zu gehen. Das ist eigentlich gerade das Spannende daran, aber: „Deshalb wird deine Angst immer getriggert. Und deine Angst ist so programmiert, dass sie immer davon ausgeht, dass ein ungewisses Ergebnis in blutigem Tod enden wird. Dafür musst du dich nicht schämen, denn das ist normal. Wenn allerdings der Mut erlischt, erlischt die Kreativität mit ihm.“ Elizabeth Gilbert schlägt vor, die Angst einfach auf die Fahrt einzuladen, sie aber nicht ans Steuer zu lassen. Lediglich als Gast dürfe sie mitfahren, weil sie sowieso dabei sei – denn wir haben alle unsere Ängste: nicht gut genug, zu alt oder zu jung für etwas sein, Angst davor haben, was die anderen sagen werden. Die Angst hat viele Facetten, und wir alle sind mit demselben Angstpaket ausgestattet.
Angst ist ein uralter Instinkt, der nicht immer sehr schlau ist. Und der beliebte Perfektionismus ist nur die „Haute-Couture-Version“ von Angst, findet Gilbert, Angst in schicken Schuhen. Perfektionismus ist eine existenzielle Form von Angst, die immer und immer wieder sagt „Ich bin nicht gut genug und werde es auch nie sein.“ Perfektionismus ist Zeitverschwendung, und jemand wird immer einen Fehler finden. Ja, die Meinung der lieben anderen: „Niemand denkt über dich nach. Die anderen sind meist mit sich selbst beschäftigt. Es überhaupt zu tun ist besser, als es gut getan zu haben. Die meisten beenden ihre Projekte nicht. Sie fangen mit großem Enthusiasmus an und bleiben dann mittendrin stecken.“
Angst ist nicht nur selten schlau, sondern sorgt für schrecklich langweilige Entscheidungen, schreibt sie weiter. „Jedes Mal, wenn ich etwas Interessantes tun will, ist es die Aufgabe der Angst, mich in komplette Panik zu versetzen. Die Aufgabe der Kreativität ist es, stimulierend und inspirierend zu bleiben.“
Fang irgendwo an, fang jetzt an! Und bleibe dran und genieße den Prozess
Der wilde Tiger will gezähmt werden: Wer ein kreatives Gehirn hat, muss es beschäftigen, für Fokus sorgen. Denn sonst erfindet es etwas, das einem nicht gefallen könnte. Es geht also nicht nur darum, das eigene kreative Potenzial auszuleben, sondern auch darum, gesund zu bleiben. Elizabeth Gilbert sagt von sich, wenn sie nicht aktiv etwas erschaffe, dann beginne sie, irgendetwas zu zerstören, sei es ihren inneren Frieden, ihre Beziehung, oder was auch immer. „Wir müssen etwas tun, das so weit von uns entfernt ist, dass wir vergessen zu essen, auf Toilette zu gehen und vergessen, über unsere Unsicherheiten nachzudenken. Die eigene Kreativität nicht auszudrücken, macht Menschen verrückt. Wenn du das, was in dir steckt, ausdrückst, dann wird dich das retten. Wenn du es nicht ausdrückst, wird es dich zerstören.“ „Fang irgendwo an, fang jetzt an“, fordert sie uns auf.
Im Laufe ihres Schriftstellerlebens hat Elizabeth Gilbert den kreativen Prozess vielfach durchlaufen und festgestellt, dass er immer denselben psychologische Phasen folgt: Auf Enthusiasmus folgt eine Phase, in der Zweifel auftauchen und das Herz nicht mehr so dabei ist und man wünscht, sich niemals auf diese Idee eingelassen zu haben. „Es gibt Phasen, in denen ich mich für völlig unfähig halte. Oder welche, in denen Panik auftaucht und ich davon überzeugt bin, nie wieder etwas Gutes zu produzieren.“ Über die Jahre habe sie gelernt, durch jedes dieser Stadien zu gehen und auf das nächste Niveau hochzuklettern.
Frustration sei keine Unterbrechung des Prozesses, sondern sie sei der Prozess. „Du musst die Momente, die zwischen inspirierenden Momenten liegen, irgendwie managen. Die Frage heißt also nicht, wofür du dich begeisterst. Sondern wofür du dich genug begeisterst, um die unangenehmsten Seiten dieser Arbeit zu ertragen. Eat the shit sandwich that comes with it.“ Und wenn es einmal stockt bei der Arbeit? Elizabeth Gilbert liebt es, Collagen zu erstellen, wenn es mal nicht vorangeht und sie irgendwo hängenbleibt. Und sie meditiert regelmäßig, denn „Mediation ist das Unglaublichste, das man tun kann, um seinen Geist zu verändern“.
Dranbleiben ist wichtig, aber den Prozess zu genießen gehört auch dazu: „Hetze nicht durch die Erfahrungen des Lebens, die das größte Potenzial haben, dich zu transformieren. Meditation, Liebe, Romane schreiben, bei all diesen Dingen wird dich die Arbeit, das Durchhalten verändern.“
Sei gut zu dir selbst
Wenn es Elizabeth Gilbert nicht gut geht, schreibt sie sich selbst Briefe als bedingungslose Güte. „Ich erzähle ihr, was mich bewegt und sie schreibt einen Brief zurück. Es ist ein Selbstgespräch, das mein Leben verändert.“
Selbstschädigende Verhaltensweisen akzeptiert sie nicht: „Ich hatte einmal eine Unterhaltung mit einer Freundin, die sich die ganze Zeit selbst angegriffen hat. Ich habe gesagt, wenn du dir das selbst antust, kann ich nichts für dich tun. Ich würde niemals in einem Raum mit jemandem bleiben, der so über dich redet. Deshalb musst du jetzt den Raum verlassen, weil ich nicht länger zuhören will, wie du meine Freundin angreifst.“
Auf nach Valencia
Toller Input, den diese Frau für uns bereithält. Auf dem Programm in Valencia beim BeingOne-Forum war sie nur mit „Eat Pray Love“ angekündigt, vermutlich, weil die meisten sie über dieses Buch kennen. Mein Notizbuch hatte ich natürlich dabei. Über ihre inspirierenden Worte auf dem Kongress berichte ich in diesem Artikel.
Zum Weiterlesen: Elizabeth Gilbert, „Big Magic – Creative Living Beyond Fear“ (deutscher Titel: „Big Magic – Nimm dein Leben in die Hand und es wird dir gelingen“)